Grundlagen und Status quo
Bei Störungen der Leistungserbringung (etwa durch fehlende Vorleistungen, Planungsfehler, mangelnde Koordination, etc.) hat der Auftragnehmer gemäß § 1168 ABGB (bzw. Punkt 7 der ÖNORM B 2110) Anspruch auf Mehrkosten sowie Bauzeitverlängerung.
Voraussetzung dafür ist aber, dass während der Leistungserbringung Erschwernisse aus der Sphäre des Auftraggebers auftreten, die zu zusätzlichen Aufwendungen (zusätzliche Umstellvorgänge, Produktivitätsverluste, oä) beim Auftragnehmer führen. Zwischen den vom Auftraggeber zu vertretenden Umständen (Ursache) und den Erschwernissen beim Auftragnehmer (Wirkung) muss ebenso ein Kausalzusammenhang bestehen, wie zwischen den Erschwernissen und dem konkreten Nachteil, den der Auftragnehmer erleidet.
Der Auftragnehmer trägt in einem etwaigen Zivilprozess die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen. Der Schlüssel jedes (erfolgreichen) Anspruches liegt daher in einer repräsentativen und schlüssigen Nachweisführung. Doch gerade bei der Nachweisführung und Analyse der Folgen von Bauablaufstörungen ergeben sich in der Praxis die häufigsten Probleme.
Hauptursache dafür ist der hohe (Personal-)Aufwand, der mit der Erstellung einer nachvollziehbaren und repräsentativen Dokumentation des Ist-Bauablaufes verbunden ist. Allein mit der Dokumentation und dem Sammeln sämtlicher Daten unter Einsatz der unterschiedlichsten Dokumentationsmittel (z.B. Bautagesberichte, Baubesprechungsprotokolle, Schriftverkehr, Fotos, Videos) ist aber noch nichts gewonnen ist. In der Regel ist eine sachverständige Auswertung der gesammelten Informationen erforderlich, um insbesondere bei komplexen und großen Bauvorhaben den von der Rechtsprechung geforderten baustellenbezogenen Nachweis zwischen den Ursachen aus der Auftraggebersphäre und den Erschwernissen bzw. Nachteilen des Auftragnehmers plausibel darzustellen.
Künstliche Intelligenz als nützliches Werkzeug zur baubegleitenden Dokumentation und nachträglichen Analyse
Seit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 ist auch der Einsatz von KI-Chatbots im Claim-Management und der Bauwirtschaft immer stärker in den Fokus gerückt. Es steht längst außer Frage, dass KI-Chatbots, vor allem aber die Kombination aus generativen Sprachmodellen und prädiktiver Analytik die Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen erheblich beschleunigen.
Insbesondere bei text- und dokumentenintensiven Aufgaben – etwa bei der Analyse der Baustellendokumentation – wird bereits vielfach der Einsatz von KI-Chatbots diskutiert. Richtig eingesetzt, können die KI-Chatbots zu effizienteren und damit ressourcen- und kostenschonenderer Nachweisführung beitragen.
Gerade bei umfangreichen Bauprojekten fällt täglich eine Vielzahl an Dokumenten und Informationen an. Generative Sprachmodelle können diese Daten bereits bei ihrer Entstehung automatisch den jeweiligen Projekten und Einsatzorten auf der Baustelle zuordnen und relevante Inhalte extrahieren. So wird „auf Knopfdruck“ – durch den richtigen Prompt (Anfrage an den KI-Chatbot) eine strukturierte Erfassung samt Auswertung der wesentlichen Informationen möglich.
Unter Einbeziehung von Vertragsgrundlagen wie Terminplänen und Leistungsverzeichnissen lassen sich mit geringerem Aufwand detaillierte Auswertungen erstellen, was wiederum die Nachweisführung der Kausalzusammenhänge zwischen den Erschwernissen und den nachteiligen Auswirkungen für den Auftragnehmer erheblich erleichtert.
Ein weiterer maßgeblicher Vorteil besteht zudem darin, Verzögerungen frühzeitig zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen sowohl auf Auftragnehmer – als auch auf Auftraggeberseite einzuleiten. Mit dem richtigen KI-Modell können etwa Muster in täglichen Bautagesberichten und Korrespondenzen erkannt werden. Werden diese Muster sodann mit weiteren Informationen aus Terminplänen bzw. der Daten der Leistungserbringung anderer Gewerke verknüpft, könnten valide Prognosen über kurzfristige Entwicklungen im Projekt erstellt werden. Dies bietet den Projektbeteiligten die Möglichkeit, wirtschaftliche Folgen zu quantifizieren und gegebenenfalls kosteneffizientere Schritte einzuleiten.
Experten bleiben unverzichtbar
Praktische Hürden |
Repräsentative Dokumentation und fundierte Auswertung sind sehr aufwendig und teilweise fehleranfällig. |
KI-Potenziale |
KI kann Daten strukturieren und analysieren und die Nachweisführung effizienter machen. |
Früherkennung von Risiken |
Mustererkennung ermöglicht Prognosen und effizientere Abwicklung |
Fazit |
KI steigert Effizienz und Transparenz im Claim Management – ersetzt aber nicht die Expertise von Bau- und Rechtsexperten. |
Trotz aller technologischen Potenziale bleibt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bzw. KI-Chatbots im Claim Management kein Selbstläufer. Eine fachgerechte Bewertung von Ursachen, Wirkungen und wirtschaftlichen Folgen setzt nach wie vor die Expertise von bauwirtschaftlichen Experten und Sachverständigen voraus. Sie verfügen über das notwendige technische, rechtliche und wirtschaftliche Know-how, um die von KI generierten Analysen richtig einzuordnen und in einen projektspezifischen Kontext zu stellen. Nur im Zusammenspiel von moderner Technologie und menschlicher Fachkompetenz lassen sich Nachweise fundiert erbringen, Streitigkeiten sachgerecht lösen und wirtschaftlich tragfähige Ergebnisse erzielen.
Markus Androsch-Lugbauer
Christoph Lintsche
Artikel aus dem Bau- & Immobilienreport September 2025 als Download.