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Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 6|2021

KMU und der Kapitalmarkt: Es soll wieder einmal Maßnahmen für einen verbesserten Zugang geben

9. September 2021

Die im Oktober 2020 von der EU-Kommission eingesetzte Technical Expert Stakeholder Group on SMEs (TESG) hat kürzlich ihren finalen Bericht veröffentlicht. Dem Auftrag entsprechend, enthält dieser konkrete Maßnahmen, wie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ein verbesserter Zugang zu den öffentlichen Kapitalmärkten ermöglicht werden soll.

In den letzten Jahren gab es auf europäischer Ebene bereits einige derartige Initiativen. Um das öffentliche Anbieten von Wertpapieren zu erleichtern, wurden zunächst (wenig erfolgreich) eigene Prospektschemata eingeführt. Seit der neuen Prospektverordnung gibt es mit dem EU-Wachstumsprospekt sogar ein eigenes Prospektformat (wobei sich der Andrang darauf noch in argen Grenzen hält). In der Marktmissbrauchsverordnung waren schon ursprünglich (einige wenige) Erleichterungen für KMU vorgesehen, weitere (etwa beim Führen von Insiderlisten) folgten, allerdings nur für Emittenten in KMU-Wachstumsmärkten gemäß MiFID II. Einen solchen Markt gibt es in Österreich derzeit nicht. Der direct market plus der Wiener Börse ist, obwohl auf KMU zugeschnitten, kein solcher. Unionsweit betrachtet gibt es derzeit in 15 EU-Ländern immerhin 18 KMU-Wachstumsmärkte.

Besonders große praktische Auswirkungen dürften all die vorstehend beschriebenen, bereits im Unionsrecht abgebildeten Erleichterungen nicht gehabt haben. Die Kommission selbst konstatiert etwa: „Despite their strategic importance as a cornerstone of economic development, public listings of SMEs remain low in Europe”. Als Ursachen werden wieder einmal administrative Hürden sowie hohe Kosten für das Listing und das Einhalten der damit einhergehenden Regeln identifiziert.

Die TESG hat Ideen entwickelt, um Listings für KMU wieder „cool“ zu machen (die Wortwahl stammt nicht von mir, sondern von der TESG selbst). Ein Ziel soll dabei sein, die regulatorischen Anforderungen für KMU zu erleichtern. Das ist zwar zu begrüßen, habe ich aber die letzten Jahre (mindestens) einmal zu oft gehört. Ein dynamischeres Ökosystem für KMU zu schaffen klingt ebenso nett wie die Sichtbarkeit zu erhöhen und ein größeres Engagement von Kleinanlegern und professionellen Investoren zu ermutigen. Zumindest hat die TESG aber über diese Stehsätze hinaus auch zwölf (mehr oder weniger) konkrete Empfehlungen ausgesprochen, um all das zu bewerkstelligen, die nun von der Kommission geprüft und allenfalls im Zuge des Capital Markets Union New Action Plans berücksichtigt werden sollen:

  1. Einführung einer einheitlichen KMU-Definition für Zwecke des Kapitalmarktrechts: Jedes Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von weniger als einer Milliarde Euro (!) soll darunter fallen. In Österreich wären diesfalls nicht nur alle direct market plus Emittenten, sondern auch zahlreiche Emittenten des Amtlichen Handels kapitalmarktrechtlich als KMU anzusehen.
  2. Listing-Anforderungen sind zu mühsam – Prospektvereinfachung ist erforderlich: Der TESG schwebt hier ein Format ähnlich dem derzeit (übergangsmäßig) für Geregelte-Markt-Emittenten geltenden Wiederaufbauprospekts vor.
  3. Die Marktmissbrauchsverordnung ist zu beschwerlich und muss geändert werden: Unter anderem wünscht sich die TESG (wie ich) eine Klarstellung, was Insiderinformationen sind und wann sie veröffentlicht werden sollen.
  4. Fehlende Flexibilität bei Aktienstrukturen muss adressiert werden: Hier geht es der TESG offenbar um (in Österreich derzeit so nicht zulässige) Mehrstimmrechtsaktien.
  5. Fehlender Support vor dem IPO: Dieser soll mit einer pre-listing-Sandbox behoben werden. Eine solche Sandbox gibt es in Österreich übrigens bereits in anderem Kontext, nämlich für FinTechs, die eine regulierte Geschäftstätigkeit anstreben.
  6. Fehlende Sichtbarkeit und Profil von KMU’s: Hier sagt die TSG wörtlich „we need to shine a spotlight on them“ und schlägt ein „EU Champions label“ vor.
  7. Ungenügendes Research: Bei diesem Thema soll unter anderem mit finanziellen Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung nachgeholfen werden.
  8. Credit Research und Ratings sind nicht adäquat für KMUs und müssen reformiert werden: Neben Förderungen soll es hier auch Erleichterungen beim Daten sammeln geben.
  9. KMU haben weder klare und verhältnismäßige ESG KPIs noch Unterstützung für Nachhaltigkeitsberichterstattung: Der TSG schwebt vor, die RL 2014/95/EU betreffend die nichtfinanzielle Berichterstattung mit Erleichterungen zu versehen und steuerliche Anreize zu schaffen.
  10. Fehlen von harmonisierten Mindestanforderungen an eine gute Corporate Governance: Neben related-party-issues gibt es hier auch die Idee mindestens eines unabhängigen Aufsichtsrats, Mindestanforderungen für Delistings und vieles mehr.
  11. Die Steuerpolitik unterstützt KMU nicht: Es soll leichter gemacht werden, mit den EU-Beihilfenregeln vereinbare Steueranreize zu schaffen.
  12. Die Basis an Kleinanlegern, die in KMU investieren, muss verbreitert werden: Der TESG schwebt dazu die Schaffung einer neuen Kategorie eines „qualifizierten Kleinanlegers“ vor.

Im Kern sind aus Sicht des interessierte Unternehmen begleitenden Anwalts viele der vorstehenden Dinge zu begrüßen. Ich bleibe aber schaumgebremst, zumal hier vieles von der konkreten Umsetzung abhängen wird, die weder was das „Ob“, noch was das „Wann“ und erst recht nicht was das „Wie“ betrifft derzeit absehbar ist.

Festzuhalten ist auch, dass die Maßnahmen in Österreich wohl eher geeignet sein dürften, „echte“ IPOs zu forcieren. Die Größenordnungen, in denen die TESG offenbar denkt, sind nämlich weit über dem klassischen direct market plus-Emittenten anzusiedeln. Und teilweise zielen sie ganz offensichtlich auf geregelte Märkte. Die ganze Nachhaltigkeitsberichterstattung ist etwa auf Emittenten in multilateralen Handelssystemen überhaupt nicht anwendbar.

Allgemein möchte ich hier abschließend betonen, dass die Wiener Börse mit dem direct market plus vor einigen Jahren ein attraktives, einfaches und recht kostengünstiges Marktsegment geschaffen hat, in welches sich zuletzt wieder mehrere neue Unternehmen gewagt haben.

Mag. Gernot Wilfling

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