In Teil 1 wurde bereits dargestellt, dass aufgrund des stark europarechtlich geprägten Normenwesens sowie harmonisierten Verbraucher- und Gewährleistungsrechts eine rein nationale „Lösung“ sowohl für den bundes- bzw. Landesgesetzgeber als auch für die Normungsinstitute schwer umsetzbar erscheint.
Anknüpfend an die Kritik des VII. Senates des Bundesgerichtshofes am deutschen Gesetzesentwurf zum „Gebäudetyp-E“ stellt sich in diesem Zusammenhang daher auch für Österreich die Frage, ob nicht bereits ein (rechtlicher) Weg zum erklärten Ziel des kostengünstigen bzw. leistbaren Bauens vorhanden ist.
Bei genauerer Betrachtung bieten zwar Bauordnungen der Länder vereinzelt die Möglichkeit innerhalb eines engen Rahmens von technischen Richtlinien oder Normen abzuweichen, damit verbundene zivilrechtliche Haftungsfragen bleiben davon jedoch unberührt.
Beim deutschen Entwurf zum „Gebäudetyp-E“ handelt es sich im Wesentlichen um einen neuen Vertragstypus zwischen „fachkundigen Unternehmern“ und damit um einen Vertragstypus für den B2B-Bereich, mit dem Standards aus technischen Richtlinien und Normen durch Parteienvereinbarung unterschritten werden können. Das Verbraucherrecht soll davon jedoch unberührt bleiben.
Nun ist der rechtwirksame Abschluss einer derartigen Vereinbarung zwischen zwei Unternehmern auch nach der derzeit geltenden österreichischen Rechtslage – unter gewissen Voraussetzungen -durchaus denkbar. Wie vom deutschen Höchstgericht in diesem Zusammenhang jedoch zutreffend angemerkt, stellt sich dabei ein faktisches und darauf aufbauend wiederum ein rechtliches Problem.
Das zur Diskussion stehende „normenreduzierte“ Bauen soll vor allem der Kostensenkung im Wohnbau dienen. Da die Endabnehmer (Käufer) bzw. Endnutzer (Mieter) im Wohnbau in der Regel als Verbraucher im Sinne des KSchG zu qualifizieren sind, bleibt in diesem Zusammenhang fraglich, in welchem Umfang und in welcher Detailtiefe Verbraucher über die mit dem Abweichen von technischen Normen und Richtlinien verbundenen Folgen aufzuklären sind. Fest steht aber, dass die Aufklärung über die mit der Abweichung verbundenen Folgen dem durchschnittlichen Verbraucher derart klar vermittelt werden müssten, dass dieser die Folgen nach dem Maßstab des KSchG vollumfänglich fassen kann. Denn nur dann, wenn dem Verbraucher eine Entscheidungsgrundlage geboten wird, die es ihm ermöglicht, die Folgen des Abweichens von technischen Normen beurteilen zu können, ist eine wirksame Vereinbarung darüber denkbar.
Im Zusammenhang mit den Aufklärungspflichten ist auch die im Werkvertragsrecht zur Anwendung gelangende Prüf- und Warnpflicht gemäß § 1168a ABGB zu beachten, die den Auftraggeber nur dann von seiner gewährleistungs- bzw. schadenersatzrechtlichen Haftung befreit, wenn er den nicht fachkundigen Auftragnehmer bereits im vorvertraglichen Stadium über die Risiken und Folgen hinreichend aufgeklärt bzw. gewarnt hat. Aber nicht nur die Bauausführenden Unternehmen, sondern auch Ziviltechniker und Architekten treffen als Sachverständige gemäß § 1299 ABGB und Planer bereits in der Planungsphase besonders hohe gesetzliche sowie berufsrechtliche Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber fachkundigen und vor allem nicht fachkundigen Auftraggebern, deren Verletzung haftungsrechtliche Folgen nach sich ziehen kann.
Vor allem aufgrund der mit einem Abweichen von den technischen Normen und Richtlinien verbundenen haftungsrechtlichen Folgen, ist der Umstand, dass ein Abweichen nur dann möglich sein soll, wenn es dabei um Komfort oder um Ausstattungsmerkmale geht, besonders kritisch zu betrachten. Als Beispiel wurden sowohl in der deutschen als auch in der österreichischen Diskussion unter anderem die Materialeinsparungen bei Stahlbetonzwischendecken genannt. Dabei sei für die Tragfähigkeit und damit Statik auch eine geringere Deckenstärke ausreichend. Bei Erfüllung der Norm komme jedoch es zu einem überdurchschnittlichen Materialeinsatz. Die damit verbundenen Materialeinsparungen (z.B. Beton, Bewehrung) führen zwar zu einer besseren CO2-Bilanz und Kostenreduktion, mit den Materialeinsparungen ist jedoch auch eine Reduktion der Trittschalldämmung verbunden. Das Ansinnen im Bereich des Komforts einzusparen ist in diesem Zusammenhang vor allem deshalb kritisch zu hinterfragen, weil auch Eigenschaften, die vermeintlich bloß dem Komfort dienen, den gewährleistungsrechtlichen Mangelbegriff erfüllen können, sofern sie eine Nutzung erheblich beeinträchtigen, was bei einer erhöhten Lärmbelastung aufgrund einer geringeren Trittschalldämmung keinesfalls auszuschließen ist.
Fazit
Ein Abweichen von technischen Normen erscheint im B2B-Bereich bereits nach der geltenden österreichischen Rechtslage zumindest eingeschränkt und unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen als möglich, bietet aber im wohnrechtlichen Kontext – insbesondere gegenüber Verbrauchern – nur begrenzten Spielraum. Die zentralen Herausforderungen liegen in der rechtssicheren Umsetzung derartiger Vereinbarungen und der rechtssicheren Aufklärung über die Folgen normabweichender Ausführung. Auch ein Abweichen von Komfortstandards, wie etwa eine reduzierte Trittschalldämmung, bleibt haftungsrechtlich riskant, weil sie unter Umständen dennoch einen Mangel begründen können.
Ein zukunftsfähiger Ansatz für kostensparendes Bauen wird daher weniger in einer pauschalen Normreduktion liegen, sondern vielmehr in transparenten, rechtskonformen Abweichungskonzepten, kombiniert mit klaren Informationspflichten und technischen Alternativen, die Qualität und Wirtschaftlichkeit sinnvoll vereinen.
Markus Androsch-Lugbauer
Christoph Lintsche
Artikel aus dem Bau & Immobilien Report 07 2025 als Download.