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Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 4|2022

EU will Börsenotierungen erleichtern

30. Mai 2022

Ziel der von der Union angestrebten Kapitalmarktunion ist es unter anderem, dass sich Unternehmen jederzeit ausreichend finanzieren können. Das von den Unternehmen benötigte Kapital kann u.a. über die Börse beschafft werden. Im Gegensatz zu den USA sind in der EU derzeit allerdings nur wenige Unternehmen an einer Börse notiert. Die Zahl der Börsenotierungen in der EU ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Ein Vergleich der Kommission zeigt etwa: Zwischen 2010 und 2018 ging die Zahl der Börsenotierungen in der EU um 12% (von 7.392 auf 6.538) zurück, während das BIP im gleichen Zeitraum um 24% gestiegen ist. Gründe die hierfür oftmals ins Treffen geführt werden, sind insbesondere die Kosten für die Börsenotiz und der hohe Compliance-Aufwand, der mit der Börsenotiz einhergeht. Wir hören in unserer Beratungspraxis gelegentlich auch, dass Rechtsunterworfene mit der Österreichischen Prüfungsstelle für Rechnungslegung (vulgo: Bilanzpolizei) einigermaßen unglücklich sind.

Der rückläufige Trend ist auch deswegen bedenklich, weil Studien zur Folge börsenotierte Unternehmen tendenziell schneller wachsen, im Durchschnitt höhere Einnahmen erzielen, mehr Mitarbeiter einstellen und sich auch in der COVID-19-Krise besser finanzieren konnten.

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission bereits mit ihrem Aktionsplan zur Kapitalmarktunion 2020 eine Vereinfachung der Börsenvorschriften angekündigt. Dazu hat die Kommission bezüglich des sogenannten Listings Acts über 100 Fragen zu möglichen Vereinfachungen von Börselistings gestellt. Hier ein paar zentrale Punkte:

  • Prospekt-VO: Über 40 Fragen haben sich darauf bezogen und beziehen sich auf Kosten, Ausnahmen von der Prospektpflicht, Gestaltung, Format, Sprache, Prüfung/Billigung, Sanktionen etc.
  • Marktmissbrauchsverordnung: Hier stellt die Kommission eine umfangreiche Überarbeitung (Anwendungsbereich, Aufschub, Directors´ Dealings, Insiderlisten, Market Sounding etc) zur Diskussion, die auch den zentralen Begriff der Insiderinformation umfasst.
  • MiFID II: Weniger eifrig ist die Kommission bezüglich der Finanzmarkt-Richtlinie, angedacht sind (nur) Klarstellungen betreffend Registrierungen von MTF als KMU-Wachstumsmärkten und von Dual Listings (dh Notierungen an zwei verschiedenen nationalen Börsen). Auch Investmentanalysen von KMUs werden adressiert.
  • Transparenz-RL: Die Kommission betont hier lediglich Vereinfachungen in Bezug auf die Regelpublizität und die Beteiligungspublizität (vgl zu deren Anwendungsschwierigkeiten Newsletter Kapitalmarkt- und Bankrecht, FinTechs Issue 2|2021 „Horror-Strafen bei Verstößen gegen die Beteiligungspublizität als Trend“).
  • Börsenzulassungs-RL: Umfangreich adressiert werden Änderungen hinsichtlich Definitionen, Zulassungsbedingungen, zuständige Behörden etc.
  • SPACs: Einen eigenen Abschnitt widmet die Kommission dem Trend-Thema der letzten beiden Jahre „SPAC“ (=Special Purpose Acquisition Company), dh Hüllen die an die Börse gehen und dann ein Zielunternehmen suchen und nach dem Zusammenschluss dieses mittelbar an die Börse bringen. Hier fragt sich die Kommission, ob der EU-Rechtsrahmen für SPACs passend ist und inwiefern Änderungsbedarf besteht.
  • Gesellschaftsrecht: Die Kommission äußert sich auch dazu und sieht Mehrstimmrechte als essentiell für eine Verbesserung der EU-Kapitalmärkte. Mehrstimmrechtsaktien werden nämlich als stabilisierende Faktoren für Gründer, Initiatoren und Kernaktionäre angesehen. Derzeit sind Mehrstimmrechte in Österreich (wie auch in Deutschland) verboten (vgl dazu Newsletter Corporate/M&A Issue 4|2021 „Gestaltungmöglichkeiten für Stimmrechte in der Satzung: Zwischen Höchststimmrecht und Super Voting Shares“). Die Kommission spricht noch Corporate-Governance-Standards für KMU, die an KMU-Wachstumsmärkten notieren, an. Derzeit gibt es in Österreich (leider) noch keinen „echten“ KMU-Wachstumsmarkt. Der direct market plus der Wiener Börse, welcher primär KMU adressiert, ist ein „gewöhnliches“ multilaterales Handelssystem.

Die Kommission stellt auch Fragen zum Gold Plating (Übererfüllung von mindestharmonisierenden EU-Rechtsakten durch Mitgliedsstaaten), welches dem Ziel einer Kapitalmarktunion zuwiderläuft.

Diese Fragen zum Gold Plating können als Hinweis darauf gesehen werden, dass das EU-Kapitalmarktrecht in Zukunft (weiter) verstärkt auf Verordnungen setzen wird.

Bis Februar 2022 hatten Marktteilnehmer Zeit, der Kommission zu ihren Fragen Input zu geben. Die Kommission wird sich nunmehr mit den Antworten der Marktteilnehmer auseinandersetzen. Ein Legislativvorschlag soll im September 2022 veröffentlicht werden. Vor dem Hintergrund des betriebenen Aufwands und der zahlreichen Fragen, die auch grundlegende kapitalmarktrechtliche Themen betreffen, erwarten wir uns doch größere Änderungsvorschläge.

Dr. Sebastian Sieder

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