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Newsletter Capital Markets/Finance Issue 2|2017

Anlegerrücktritt – Bedeutung der OGH-Rechtsprechung für den Kapitalmarkt

1. März 2017

Wertpapiere und Veranlagungen (Aktien, Anleihen, Genussrechte etc) dürfen in Österreich nur öffentlich angeboten werden, wenn spätestens einen Bankarbeitstag davor ein Kapitalmarktprospekt veröffentlicht wurde. Für den Inhalt von Prospekten haftet den Anlegern unter Umständen eine Reihe von an Wertpapierangeboten Beteiligten (siehe § 11 KMG und die Judikatur des OGH zur allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung). Voraussetzung ist, dass neben einem Schaden die allgemeinen Voraussetzungen für Schadenersatz vorliegen. Dem Anspruchsgegner muss also Verschulden am Schadenseintritt vorwerfbar sein. Rund um möglicherweise fehlerhafte Prospekte kreiste die Diskussion dagegen (ausgehend von einer OGH-Entscheidung iS Alpine) zuletzt verstärkt um eine Anspruchsgrundlage, die kein Verschulden des Anspruchsgegners voraussetzt. Die Kernfrage lautet: Können Anleger gegenüber einer Bank, bei der sie Wertpapiere eines Unternehmens bezogen haben, vom Vertrag zurücktreten, wenn der vom Unternehmen erstellte Prospekt (materiell) fehlerhaft war?

Rücktrittsrecht für Verbraucher
Das KMG enthält zunächst ein Rücktrittsrecht für Verbraucher-Anleger, wenn ein prospektpflichtiges Angebot gänzlich ohne vorhergehende Prospektveröffentlichung erfolgt ist (§ 5 Abs 1). Dieses Rücktrittsrecht gilt aber auch, wenn bloß die „Angaben nach § 6 KMG“ nicht veröffentlicht wurden, also ein nachtragspflichtiger Umstand nicht in einem Nachtrag zum Kapitalmarktprospekt veröffentlicht wurde. In einen solchen Nachtrag aufzunehmen ist wiederum neben wichtigen neuen Umständen auch „jede wesentliche Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben, die die Bewertung der Wertpapiere oder Veranlagungen beeinflussen könnten.“ Die Nachtragspflicht gilt zeitlich begrenzt für solche Umstände, die zwischen der Billigung des Prospekts und dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots bzw der Handelsaufnahme festgestellt werden (§ 6 Abs 1 KMG). 

Was gilt nun, wenn der Prospekt eine wesentliche Unrichtigkeit enthält, diese jedoch nicht in einem Nachtrag zum Prospekt richtig gestellt wird? Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Fehler nicht innerhalb des nachtragspflichtigen Zeitraums entdeckt wird; denkbar ist freilich auch, dass Fehldarstellungen dem emittierenden Unternehmen von Anfang an bekannt waren (und dementsprechend während der Nachtragspflicht bewusst nicht richtig gestellt wurden). Haben Verbraucher-Anleger, die im Zuge des öffentlichen Angebots gezeichnet haben, nun ein zeitlich unbefristetes Rücktrittsrecht? Und kann der Anleger auch gegenüber seiner Hausbank, von der er die Wertpapiere gekauft hat zurücktreten? Beides bejaht der OGH (3Ob97/16k), wenn

  • der Anleger während des Zeitraums des öffentlichen Angebots für das in Frage stehende Wertpapier gezeichnet hat; und
  • die geltend gemachten Prospektfehler „verpflichtend aufzunehmende Prospektangaben betreffen, deren Kenntnis geeignet ist, die Beurteilung der Wertpapiere zu beeinflussen; ob es sich dabei also um Umstände handelt, die ein nach ausschließlich sachlichen, somit nach kapitalmarktrelevanten Kriterien urteilender Anleger als anlageentscheidend erachten kann.

Ob die beklagte Bank die Prospektfehler kannte oder auch bloß kennen konnte, ist dabei irrelevant. Das Rücktrittsrecht des Verbrauchers gilt gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner unabhängig von einem Verschulden. Ob dies sachgerecht ist, oder eine einschränkende Interpretation geboten gewesen wäre, sei dahingestellt. Bis auf Weiteres muss der Praktiker jedenfalls damit leben.

Generelles Rücktrittsrecht nach § 6 KMG?
§ 6 KMG enthält ein Rücktrittsrecht, welches über Verbraucher-Anleger hinaus für sämtliche, also auch institutionelle Anleger, gilt. Es knüpft dem Wortlaut nach daran an, dass tatsächlich ein Nachtrag veröffentlicht wird – diesfalls haben Anleger, die ihre Erwerbsentscheidung vor Nachtragsveröffentlichung getroffen haben, ein binnen zwei Arbeitstagen ausübbares Rücktrittsrecht. Voraussetzung ist nach den Buchstaben des Gesetzes, „dass der neue Umstand oder die Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit […] vor dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots und der Lieferung der Wertpapiere […] eingetreten ist“ (§ 6 Abs 2 KMG). Ob dieses Recht auch unabhängig von einer Nachtragsveröffentlichung besteht, hat der OGH in der oben erwähnten Entscheidung mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen gelassen. Bei sorgfältigem Studium der Entscheidungsbegründung entwickelt man freilich ein Gefühl dafür, in welche Richtung die Reise hier gehen könnte.

Licht am Ende des Tunnels, zwischenzeitliche Auswege für die Praxis
§ 5 KMG ist ein nationales Relikt und könnte durch den österreichischen Gesetzgeber jederzeit abgeschafft werden. Sobald die im Zuge der Kapitalmarktunion geplante neue Prospektverordnung anwendbar ist, besteht diesbezüglich mE sogar eine entsprechende Pflicht des Gesetzgebers. Die neue Prospektverordnung beabsichtigt eine europaweite Harmonisierung der Wertpapieremission, was eine Beseitigung derartiger nationaler Relikte verlangt.

Will man als Emissionsbank das aus § 5 KMG resultierende Risiko ausschalten, jedoch nicht auf ein öffentliches Angebot an Verbraucher-Anleger verzichten, bedürfte es nach derzeitiger Rechtslage und Judikatur eines nicht unerheblichen Eingriffs in die bislang gebräuchliche Angebotsstruktur. Man müsste hier wohl eine Retail-Tranche definieren, die nicht zunächst von Emissionsbanken gezeichnet und weiterplatziert wird. Vielmehr müsste der Vertrag zwischen emittierendem Unternehmen und Verbraucher direkt zustande kommen, was die Bank auf eine Art Vermittler-Rolle beschränken würde.

§ 6 KMG beruht auf den Vorgaben der Prospekt-Richtlinie (Richtlinie 2003/71/EG idgF). Das im Hinblick auf anfänglich fehlerhafte Prospekte aus dieser Bestimmung allenfalls für Emissionsbanken resultierende Risiko wird auf Sicht wohl erhalten bleiben. Auch der Entwurf der neuen Prospektverordnung enthält eine solche Bestimmung. Sollte der OGH bei anfänglich fehlerhaften Prospekten mangels Nachtragsveröffentlichung auch zu § 6 KMG ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht judizieren, wäre das Risiko für die Emissionsbanken sogar noch deutlich größer: auch institutionelle Investoren könnten sich darauf stützen, sodass in der Emissionskaskade letztlich Rücktritte bis hin zur Emissionsbank bzw dem Konsortium, welches direkt von der Emittent gezeichnet hat, denkbar wäre. Zwar könnten wohl auch die Emissionsbanken (gegenüber dem Emittenten) von der Zeichnung zurücktreten, in der Insolvenz des Emittenten werden sie ihren Übernahmepreis aber nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil (Insolvenzquote) zurückbekommen. Interessant, aber in der Literatur bislang kaum beachtet ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Rücktrittsrecht gemäß § 6 KMG vertraglich ausgeschlossen werden kann. 

MAG. GERNOT WILFLING

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