Art 17 MAR, der Emittent:innen bekanntlich verpflichtet, sie unmittelbar betreffende Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen, macht in der Praxis erhebliche Probleme. Der Begriff „Insiderinformation“ ist weit gefasst und es knüpfen an ihm unter anderem auch das Insiderhandelsverbot und das Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen an. Da wundert die Tendenz von Aufsichtsbehörden und Gerichten, das Vorliegen von Insiderinformationen eher früher als später anzunehmen, nicht. Für Emittenten Kern des Problems ist, dass in zeitlich gestreckten Sachverhalten Zwischenschritte unter Umständen auch dann Insiderinformationen sein können, wenn das Endereignis noch nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
Was bereits der Listing Act an Verbesserungen für Emittentinnen brachte
In diese Kerbe schlägt bekanntlich bereits der Listing Act. Die Verordnung (EU) 2024/2809 bringt, anwendbar ab 5. Juni 2026, mit sich, dass Zwischenschritte in getreckten Sachverhalten zwar auch künftig weiterhin Insiderinformationen sein können, insiderrelevante Zwischenschritte jedoch nicht mehr veröffentlichungspflichtig sind (Art 17 Abs 1 MAR neue Fassung). Ad-hoc-pflichtig ist also künftig nur noch das Endereignis in einem gestreckten Sachverhalt; dies, nach den bisherigen Grundregeln, sobald es hinreichend wahrscheinlich ist. Wobei in Art 17 MAR freilich wörtlich ausgeführt wird: „Bei einem zeitlich gestreckten Vorgang muss nur der finale Umstand oder das finale Ereignis unverzüglich nach seinem Eintreten offengelegt werden“. Die Insiderverbote gelten aber freilich weiterhin schon ab Vorliegen eines insiderrelevanten Zwischenschritts und Emittent:innen sind weiterhin verpflichtet, die Vertraulichkeit einer Insiderinformation bis zur Veröffentlichung sicherzustellen (Art 17 Abs 1a MAR neue Fassung).
Diese Neuerung ist zu begrüßen, verschafft für sich allein aber nur wenig Abhilfe, weil man sich nun auf die Suche nach dem „finalen Umstand/Ereignis“ und vor allem den relevanten Meldezeitpunkt begeben muss. Daher hat der Europäische Gesetzgeber bekanntlich die Kommission ermächtigt, in einem delegierten Rechtsakt eine nicht erschöpfende Liste möglicher Endereignisse festzulegen, die auch Angaben dazu enthalten soll, in welchem Zeitpunkt das Endereignis jeweils offenlegungspflichtig ist (Art 17 Abs 12 lit a MAR neue Fassung). Die Ausarbeitung solcher Rechtsakte obliegt wie üblich der ESMA, die nun nach umfangreichen Konsultationen in ihrem Final Report einen Vorschlag für eine delegierte Verordnung gemacht hat.
Was man dem Final Report der ESMA entnehmen kann
Die wesentlichen Erkenntnisse für Veröffentlichungszeitpunkte aus dem ESMA Final Report sind:
- Verträge: Zielt ein Ereignis auf einen Vertragsabschluss, wie etwa Unternehmens(ver)käufe, Joint Ventures oder sonstige Kooperationen, ist das relevante Ereignis grundsätzlich der Vertragsabschluss, also das „Signing“. Bedarf der Vertrag der Zustimmung der Hauptversammlung, ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung im Vorstand, die Hauptversammlung zu befassen, relevant. Im Fall von Konzentrationsverschmelzungen (merger), im Zuge derer es natürlich auch zum Abschluss eines Vertrags kommt, soll es auf die Genehmigung der Bedingungen der Verschmelzung durch den Vorstand ankommen.
- Kapitalmaßnahmen: Das relevante Ereignis ist hier die Entscheidung des Vorstands über die Ausgabe von Wertpapieren, etwa die Durchführung einer Kapitalerhöhung, und die wesentlichen Bedingungen der Ausgabe. Letztere werden in der Regel erst kurz vor Angebotsstart nach dem sogenannten „Pricing“ bekannt sein.
- Aktienrückerwerbe: Auch hier kommt es auf die Entscheidung des Vorstands über das „Ob“ und die wesentlichen Bedingungen an.
- Dividenden: Relevant ist die Entscheidung des „governing body“, der Hauptversammlung eine Dividendenzahlung vorzuschlagen oder die Dividendenpolitik zu ändern. Hier gibt es bei der österreichischen AG bekanntlich einen Gewinnverwendungsvorschlag des Vorstands, welchen der Aufsichtsrat prüft und (im Regelfall) billigt. Ob es künftig auf die Entscheidung im Aufsichtsrat ankommen soll oder (wofür es Tendenzen in der bisherigen Judikatur in Österreich gibt) regelmäßig auf die Vorstandsentscheidung, bleibt aus dem Final Report meines Erachtens unklar.
- Finanzinformationen: Im Fall von ad-hoc vorab veröffentlichungspflichtigen Finanzinformationen, wie sie etwa bei erheblichen Abweichungen von der Guidance, Analystenerwartungen oder zu Vorperioden vorkommen können, ist die Kenntnisnahme des Zahlenwerk durch den Vorstand relevant.
- Veränderungen im Vorstand: Relevanter Zeitpunkt ist die Entscheidung im Aufsichtsrat, ein Vorstandsmitglied zu bestellen, abzuberufen oder nicht zu verlängern.
- Lizenzen/Genehmigungen: Veröffentlichungspflicht tritt ein, sobald der/die Emittent:in den Antrag an die zuständige Behörde übermittelt hat. Kommt es dann zur Genehmigung oder Untersagung, ist (die weitere) Ad-hoc-Meldung mit Zustellung der formalen Entscheidung durch die Behörde zu erstatten. Vorher informell Ausgetauschtes soll auch dann irrelevant sein, wenn man als Emittent:in vorab einen Entwurf der Entscheidung bekommen hat (was es etwa im europäischen Bankaufsichtsrecht gibt).
- Öffentliche Auftragsvergaben: Die Teilnahme ist im Regelfall wohl nicht ad-hoc-relevant, der Zuschlag soll auch hier erst nach Erhalt der formalen Entscheidung des Auftraggebers veröffentlichungspflichtig sein.
- Insolvenzen und Sanierungen: Hier kommt es grundsätzlich auf die formale Beschlussfassung im Vorstand, definitiv ein gerichtliches Verfahren einzuleiten, an. Bei außergerichtlichen Restrukturierungen ist dagegen nach meinem Verständnis der ESMA das Signing des entsprechenden Vertrags mit den (wesentlichen) Gläubigern ausschlaggebend.
- Gerichtsverfahren und verwaltungsbehördliche Entscheidungen: Auch hier kommt es im Wesentlichen auf die Zustellung der offiziellen Entscheidung an. Ungeachtet dessen kann es wohl schon davor zu einer (gesonderten) Ad-hoc-Pflicht kommen, wenn aufgrund zu befürchtender Auswirkungen eines laufenden Prozesses durch Rückstellungen bilanzielle Vorkehrungen getroffen werden. Auf das Bestehen von Berufungsmöglichkeiten kommt es indes nicht an.
Bei all diesen Maßnahmen muss man sich über den richtigen Veröffentlichungszeitpunkt freilich nur Gedanken machen, wenn eine Würdigung aller Umstände ergibt, dass es überhaupt ein insiderrelevanter Vorgang ist, die Voraussetzungen des Art 7 MAR (unter anderem Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung) also erfüllt sind. Und natürlich gibt es diverse andere Sachverhalte, welche zum Vorliegen von Insiderinformationen führen können. In solchen Fällen wird man sich mE an der nicht abschließenden Liste orientieren können und wird bei der Auslegung versuchen, Parallelen zu den ESMA-Fallgruppen zu finden.
Fazit und Auswirkungen des Listing Acts auf die Praxis
Der Listing Act wird eine überfällige Entlastung bei der Ad-hoc-Publizität in gestreckten Prozessen bringen und die Rechtssicherheit erhöhen. Die von der ESMA vorgeschlagene Liste finaler Ereignisse wird der Praxis helfen, auch wenn sie nicht alle Unklarheiten beseitigen wird. Dennoch erwarte ich mir, dass es künftig weniger Verwaltungsstrafen wegen verspäteten Ad-hoc-Meldungen geben wird. Und freilich wird es ab der Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen auch wieder weniger Aufschübe geben, wiewohl dieses Institut natürlich bestehen bleibt (zu den Neuerungen rund um den Aufschub wir es übrigens einen gesonderten Newsletter-Beitrag geben).
Um den Übergang auf das neue MAR-Regime ab Juni 2026 reibungslos zu gestalten, sollten Emittent:innen frühzeitig aktiv werden: Die Kapitalmarkt-Compliance-Standards (und sonstige Tools) werden entsprechend zu anzupassen sein. Kernfrage ist hier aus meiner Sicht, wie man mit dem noch aus ECV-Zeiten stammenden Begriff der „compliance-relevanten“ bzw „kapitalmarktrelevanten“ Information umgeht. Ich sehe durch die nun ohnehin zweistufige Anknüpfung in der MAR für derartige Vorstufen von Insiderinformationen nach ersten Überlegungen keinen Raum mehr.
Nicht zuletzt sollten man relevantes Personal natürlich über die Neuerungen intensiv schulen.
Wir haben sowohl die Überarbeitung von Kapitalmarkt-Compliance-Standards, als auch Schulungen als standardisierte Beratungsprodukte zum Pauschalpreis im Angebot und freuen uns, Sie bei der (weiteren) Umsetzung des Listing-Acts zu begleiten. Speziell für Schulungen bitten wir um frühzeitige Kontaktaufnahme zwecks Terminfindung.
Gernot Wilfling