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Newsletter Corporate/M&A Issue 3|2020

Virtuelle oder physische „Post-Corona-Hauptversammlung“?

16. Juli 2020

Durch die gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetzgebung wurde Publikums-Aktiengesellschaften ermöglicht, virtuelle Hauptversammlungen mit ihren Aktionären ohne optische und akustische Zweiweg-Verbindung abzuhalten. In der praktisch gebräuchlichen Form überträgt die Gesellschaft dazu die Hauptversammlung live im Internet und bestellt vier Stimmrechtsvertreter, welche von den (virtuell) teilnehmenden Aktionären zwingend für die Stimmrechtsausübung, Widersprüche und Beschlussanträge einzusetzen sind. Das Fragerecht können Aktionäre in der Regel selbst (durch Übermittlung von Fragen an eine E-Mail-Adresse der Gesellschaft) ausüben. Es hat sich gezeigt, dass derartige virtuelle Hauptversammlungen aus Sicht der Gesellschaften im Großen und Ganzen gut funktionieren. Insbesondere gibt es auch weniger Aktionärsfragen. Unter anderem dadurch vermelden Publikumsaktiengesellschaften eine geringere Dauer der virtuellen Hauptversammlung im Vergleich zu vergangenen physischen Aktionärstreffen.

Umgekehrt wird der Aktionär natürlich durch den Ausschluss der persönlichen Teilnahmemöglichkeit in einem seiner zentralen Aktionärsrechte erheblich eingeschränkt. Und Publikumsaktiengesellschaften schätzen den persönlichen Austausch mit ihren Eigentümern mitunter auch.

Nachdem die COVID-Gesetzgebung (auch aus diesem Grund) die Möglichkeit vorsah, die Hauptversammlung dieses Jahr ausnahmsweise später abzuhalten, überlegen gerade jetzt viele Publikumsaktiengesellschaften, welche Variante sie im Herbst wählen sollen. Die diesbezügliche Abwägung ist alles andere als leicht. Einzige gesicherte Erkenntnis rund um die COVID-19-Pandemie scheint zu sein, dass es kaum gesicherte Vorhersagen für die weitere Entwicklung gibt. Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass die 28-Tage-Einberufungsfrist für die ordentliche Hauptversammlung recht lang ist. Und spätestens in der Einberufung muss man sich festlegen, welchen Weg man geht. Dies spricht in der derzeitigen Situation unseres Erachtens dafür, die virtuelle Variante zu bevorzugen.

Zudem gilt zu bedenken, dass die Gesellschaft als Veranstalter der Hauptversammlung schon aus dem allgemeinen Zivilrecht heraus Verkehrssicherungspflichten gegenüber den Aktionären treffen. Aus dem Verbandsverhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionär wird Ähnliches abzuleiten sein. In der derzeitigen Situation sind daher umfassende Schutzmaßnahmen zu treffen und das Ansteckungsrisiko damit bestmöglich zu reduzieren. Dabei wird man sich etwa an den Vorgaben der jeweils geltenden COVID-19-Lockerungsverordnungen orientieren können. Zudem halten wir es für dringend geboten, jenen Aktionären, die nicht physisch anwesend sein wollen, zumindest einen von der Gesellschaft beauftragten und bezahlten Stimmrechtsvertreter bereit zu stellen.

Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen sowohl als Berater von Publikumsaktiengesellschaften bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen in COVID-19-Zeiten, als auch als Stimmrechtsvertreter im Zuge mehrerer virtueller Hauptversammlungen tendieren wir insgesamt vor obigem Hintergrund derzeit nach wie vor zur virtuellen Variante. Nicht wegzuleugnen ist aber natürlich, dass die Stimmrechtsvertreter und das Erfordernis der Übertragung der Hauptversammlung im Internet mit Kosten bzw Aufwand verbunden sind.

Mag. Gernot Wilfling

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