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Newsletter Corporate/M&A Issue 2|2020

OGH: Freibrief für Querulanten in Hauptversammlung?

26. März 2020

Der OGH (6 Ob 34/19x) hat jüngst die Fragerechte von Aktionären in Hauptversammlungen gestärkt. § 118 AktG bietet ein Auskunftsrecht für Aktionäre. Dieses Mitgliedschaftsrecht ist in der Hauptversammlung wahrzunehmen. Beklagter des Verfahrens war ein Kleinaktionär einer Aktiengesellschaft, der in der HV zahlreiche unangenehme Fragen an den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Vorstand richtete. Dabei warf er dem Vorstand und einem Großaktionär vor, potenziell schädigende Aktionen zum Nachteil der Gesellschaft gesetzt zu haben und diese dadurch geschädigt zu haben. Die Aussagen des Kleinaktionärs bezogen sich auf (versuchte) Einflussnahmen des Großaktionärs, der Stifter und Begünstigter einer zu mehr als 25 % an der Aktiengesellschaft beteiligten Privatstiftung ist, auf den Vorstand der Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit deren geplantem Zusammenschluss mit einer brasilianischen Gesellschaft. Der angesprochene Großaktionär klagte auf Unterlassung und stützte sich dabei auf § 1330 ABGB. Nach Ansicht des Klägers haben die Äußerungen seine Ehre und sein wirtschaftliches Fortkommen gefährdet.

Der OGH bestätigte die Ansicht der Unterinstanz. Das OLG Wien gestand dem Kleinaktionär zu, dass seine „Fragen“ einen Tatsachenkern enthielten und eine Verdachtslage nahelegten und erkannte dem Kleinaktionär daher ein Aufklärungsinteresse zu. Nach Ansicht des OGH handelt ein Aktionär, der auf einer HV sein Recht auf Fragen zu potenziell schädigenden Handlungen der Entscheidungsträger der Gesellschaft ausübt, nicht rechtswidrig. Der OGH hat in diesem Fall im Rahmen einer Interessenabwägung das Recht der freien Meinungsäußerung gestärkt und dem Recht auf Persönlichkeitsschutz Nachrang gegeben.

Fraglich bleibt, ob diese Ansicht des OGH quasi einen Freibrief für Aktionäre darstellt ihrem Ärger über andere Aktionäre und die Führung Luft zu machen. Man würde hiermit den Aktionären eine Bühne bieten, um anderen „eins auszuwischen“. Zudem würde man in Zeiten des Aktionärsaktivismus (Shareholder Activism), der aus den USA und UK immer mehr nach Europa überschwappt, eine Möglichkeit geben die Unternehmensführung hemmungslos an den Pranger zu stellen und dabei auch vor deren Ehre und deren wirtschaftlichem Fortkommen keinen Halt zu machen.

Diese Befürchtungen treffen wohl nur eingeschränkt zu, da immer eine Interessenabwägung zwischen Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK) und den Persönlichkeitsrechten im Einzelfall notwendig ist. Die jüngste OGH-E ist daher so „schlimm“ auch wieder nicht, sendet aber ein fatales Signal aus.

Dr. Sebastian Sieder

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